Fallbeispiel – beschrieben aus der Perspektive von Herrn Schilling
J., ein Jugendlicher – Lähmung nach Unfall und zweijährigem Koma
Zu seinem sechzehnten Geburtstag hatte J. nur einen großen Wunsch: ein Moped. Widerstrebend gaben die Eltern seiner Bitte nach, und leider hatten sie Recht mit ihren Vorbehalten. Kurze Zeit später wurde der Junge ohne Helm fahrend von einem Auto erfasst, flog 40 Meter weit und fiel mit dem Kopf voran auf den Bürgersteig. Die Betonplatte zerbarst in drei Teile.
Der Junge überlebte mit schwersten Verletzungen und lag zwei Jahre im Koma. Nach dem Erwachen wurde er als Dauerpflegefall heim geschickt und seine Eltern baten mich um Hilfe. Niemals werde ich die erste Begegnung vergessen, sie war zu erschütternd.
Halb sitzend, halb liegend war J. mit Gurten im Bett fixiert, sonst wäre er einfach weggekippt. Sein Rücken war stark verkrümmt, Liegen war dadurch unmöglich. Er wurde künstlich beatmet sowie ernährt und war total gelähmt, steif, wie in Stahl gegossen.
Einzig Daumen und Zeigefinger der rechten Hand konnte er ein wenig bewegen. Die anderen drei Finger und einige Zehen mussten während des Komas amputiert werden. Allein mit diesen zwei Fingern machte J. sich mühsam über eine Tastatur der Außenwelt verständlich, denn auch die Stimmbänder waren gelähmt.
Einmal wöchentlich fuhr ich zum Haus des Jungen und massierte ihn für 3 bis 4 Stunden. Ich hatte für diesen speziellen Fall eine Behandlungsmethode entwickelt, die auch die Stimmbänder umfasste. Nur in einer jeweils ausführlichen Therapiesitzung sah ich überhaupt eine Chance, die erstarrten Muskeln, Nervenbahnen und Sehnen zu aktivieren.
Nach etwa einem Vierteljahr war J. selbständig eine leichte Fußdrehung möglich. Obendrein konnte er nach langer Zeit das erste Wort sprechen, langsam zwar, aber verständlich. Noch ein weiteres Vierteljahr verging und der Junge bewegte bereits vorsichtig alle Hauptgelenke. Außerdem er hatte sprachlich weitere Fortschritte gemacht, konnte kleine Sätze formulieren.
Bevor an Gehversuche überhaupt zu denken war, musste ich zuerst versuchen, den total verkrümmten Rücken des Jungen zu begradigen. Er wäre sonst sofort vornüber gefallen. Dazu musste ich ihn auf den Bauch drehen. Die Behandlung war nur durch Geduld und kräftezehrenden Druck möglich und nach ca. 3 Monaten war der Rücken fast gerade.
Nun endlich konnte ich ihn mit Hilfe seines Vaters auf die Beine stellen und die Familie sah erstmals erstaunt, wie sehr J. während des Komas gewachsen war; 1.90 m war er inzwischen groß und überragte uns alle.
Der Junge und ich arbeiteten hart daran, die Beine wieder zu aktivieren und das Gehen zu üben. Ca. zwei Jahre nach Beginn der Behandlung hatte er eine besondere Überraschung für mich. Zu diesem Termin holte er mich selbst am Gartentor ab, zwar langsam gehend und gestützt von seiner Mutter, jedoch voller berechtigter Hoffnung für die Zukunft.